Gute Mitarbeiter zu finden und auch zu halten, gehört bekanntermaßen zu den Top-Herausforderungen österreichischer Unternehmen. Viel Geld wird daher glücklicherweise investiert in ein angenehmes Arbeitsumfeld, Lösungen für berufstätige Eltern, Kinderbetreuungsmöglichkeiten, Auszeitenmanagement oder aber Trainee- und andere Aus- und Weiterbildungsprogramme. Hier hat sich in den letzten Jahren sehr viel getan und die Work-Life-Balance zahlreicher Mitarbeiter ist in den Mittelpunkt gerückt. Bei der Durchführung meiner Audits berufundfamilie, in denen ich Unternehmen bei der Erlangung des staatlichen Gütezeichens und auf dem Weg zu familienfreundlichen, modernen Personalmanagementkonzepten begleite, wird aber auch ein Thema behandelt, das in den meisten Unternehmen derzeit noch massiv unterschätzt wird: Das Thema der Pflege naher Angehöriger. Ein nicht zu verachtendes personelles Risiko, das es Wert ist, einmal angeschaut zu werden.
Nicht alle haben Kinder, aber alle haben Eltern
Um die Situation deutlich zu machen, macht es Sinn, sich ein paar Zahlen anzusehen. Rund 420.000 Menschen in Österreich beziehen derzeit Pflegegeld in den unterschiedlichen Stufen. Bezieht man diese Zahl auf die Erwebstätigen in Österreich – das waren rund 4,1 Millionen im Jahr 2011 – dann heißt, dass bezogen auf die Erwerbsbevölkerung –rein mathematisch – jede/r Zehnte in etwa jemanden in der Familie hat, der Pflegegeld bezieht. Würde man das ummünzen auf Unternehmen, dann hieße das, dass jede/r Zehnte im Unternehmen davon betroffen ist, jemanden in der Familie zu haben, der gepflegt wird.
Das dass nicht ganz so ist, ist klar, aber fast 75% aller Pflegegeldbezieher nehmen keine professionellen Dienste in Anspruch, was bedeutet, dass diese in ihrem Umfeld gepflegt werden. Weiß man, dass über zwei Drittel der pflegenden Angehörigen –meist Frauen – keiner Arbeit nachgehen, obwohl etwa die Hälfte das vor Eintreten des Pflegefalles getan hat, dann wird klar, welche Auswirkungen Pflege auf Unternehmen, den Arbeitsmarkt und eine Volkswirtschaft hat.
In einer demografischen Entwicklung, in der der Anteil der „älteren“ Arbeitnehmer den der jungen bei weitem übersteigt, hängt buchstäblich ein Damoklesschwert über Österreichs Unternehmen.
Bei Eintritt Ungewissheit
Sind viele Unternehmen noch damit beschäftigt, sich um ein sauberes Karenzmanagement, den Umgang mit Elternteilzeitlösungen und anderen Teilzeitvarianten zu bemühen, ist das Thema Pflege und die Frage, wie damit im Unternehmen umzugehen ist, in Österreichs Betrieben noch bei weitem nicht flächendeckend oder dar systematisch angegangen worden. Bei meinen Abfragen im Audit berufundfamilie spielt auch das Thema Pflege eine Rolle. Erstaunlich ist, dass es kaum Unternehmen gibt, die sich mit dem Thema auseinander gesetzt haben. Zahlen darüber, wie viele Betroffene es im Haus gibt, sind nicht vorhanden. Wobei dazu gesagt werden muss, dass das Thema Pflege in Österreich auch starken Tabus unterliegt. Aber auch ein systematisches Management oder Szenarien, wie mit Fällen umzugehen ist, sind nicht vorhanden oder beziehen sich maximal auf einzelne getroffene Individuallösungen.
Dabei ist das personelle Risiko ein überaus großes und was viel schlimmer ist, ein ungewisses. Im Gegensatz zu Schwangerschaften und damit einhergehenden temporären Personalausfällen durch Karenzen, die jedoch im Wesentlichen von der Menge her abschätzbar sind (es sei denn, wir haben einen strengen Winter), und auch von der Dauer und dem Ablauf her eine (bio-)logischen Abfolge haben, sind Pflegefälle vom Zeitpunkt, der Heftigkeit und der Dauer nicht abschätzbar. Gute Mitarbeiter können von einem Moment an betroffen sein, ausfallen oder kündigen müssen und es ist ungewiss, wann sie zurück kommen können. Dazu kommt bei allen Fällen, auch bei den nicht so schweren, die psychische Belastung, die die Betroffenen in die Arbeit mitnehmen und die diese beeinflusst.
Sie sehen schon, dieser Artikel ist ein Plädoyer an alle Unternehmer, Manager und Personalisten, sich das Thema einmal genau anzusehen.
Was Unternehmen tun können und auch sollten
Aus meiner Erfahrung herrscht in den meisten Unternehmen zunächst einmal ein Mangel an Informationen. Zum einen über die Anzahl der möglichen Betroffenen, zum anderen über das Thema Pflege im Generellen. Daher
1.) Sammeln Sie In Informationen
Zu wissen, wie die Betroffenheit im Unternehmen ist, ist wichtig, um das Risiko einschätzen zu können. Bedenken Sie aber, dass es ein sehr tabuisiertes Thema ist. Wenn Mitarbeiter fürchten, dass sie mit Konsequenzen zu rechnen haben, wenn Sie sich outen als Betroffene, dann werden sie es Ihnen nicht sagen. Aber auch einzelne Betroffene, von denen es bekannt ist, können gute Sparringpartner sein, was der Bedarf für betroffene Mitarbeiter ist.
Eine Strukturanalyse der Belegschaft, also eine Analyse nach Alter, kann gute Aufschlüsse geben darüber, die hoch die Betroffenheit und damit das Risiko ist.
Sammeln Sie zudem Informationen zu den rechtlichen Möglichkeiten und Lösungen, wie der Pflegehospizkarenz, den Pflegegeldstufen und deren Grundlagen, usw.
2.) Machen Sie das Thema Pflege zum Thema
Ein Thema wird erst dann Thema, wenn man darüber redet und reden darf. Ein Informationsabend mit Experten oder eine Austauschrunde von und mit Betroffenen können ein erster Anlassfall sein, dass über das Thema Pflege gesprochen wird. Artikel und Informationen in der Mitarbeiterzeitung, vom Betriebsarzt oder von externen Informationsstellen (zB das Österr. Pflegetelefon) ermöglichen einen natürlichen Umgang mit dem Thema und ein Bewusstsein für die Problematik.
Oder beteiligen Sie sich an unternehmensübergreifenden Gruppen und Initiativen. Ähnlich wie das bei Betriebskindergärten oft gemacht wird, können auch unternehmensübergreifenden Pflegenetzwerke, Hilfe für Mitarbeiter und Unternehmen bieten.
3.) Entwickeln Sie eine klare Policy sowie Instrumente und kommunizieren Sie diese
Was Mitarbeitern und Führungskräften Sicherheit gibt, ist zu wissen, worauf sie sich verlassen können. Sich dem Thema intensiv – ggf. in Workshops mit internen Stakeholdern oder Führungskräften – zu widmen und daraus eine Haltung und entsprechende Maßnahmen zu definieren ist besonders wichtig für die Kultur. Vor allem geht es um die Fragen:
- Wie gehen wir mit Fällen um, in denen Mitabeiter (temporär) ausfallen oder Reduktionen der Arbeitszeit benötigen, um einer Pflegeverpflichtung nachzukommen?
- Wie sprechen wir das Thema als Management und Führungskräfte an? Wann? Wo?
- Welche Unterstützung können wir bieten? (Erfahrungsgemäß hilft schon eine Sammlung an Ansprechpartnern und Stellen, an die sich Betroffene wenden können. Niemand erwartet, dass sein Arbeitgeber selbst ein Pflegeexperte ist)
- Wie mindern wir personelle Risiken, die durch Ausfälle entstehen können (Vertretungsregeln, Kompetenzverteilung, …)
Und vor allem: kommunizieren Sie Ihre Ergebnisse im Haus. Nur so entsteht eine vertrauensvolle Unternehmenskultur, die für potenzielle wie auch künftige Mitarbeiter als attraktiv wahrgenommen wird.
4.) Bestimmen Sie eine/n Pflegebeauftragte/n
Um derartigen Projekten und Themen den nötigen Drive und die nötigen Ressourcen zu geben, hat es sich als sinnvoll erwiesen, klare Verantwortung (und damit zeitliche und finanzielle Ressourcen) zu vergeben. Diese Rolle kann bei einem Betriebsrat, jemandem aus dem Bereich der Arbeitssicherheit / Arbeitsmedizin oder aber in der Personalabteilung liegen. Eine Person sollte sich dem Thema aber verpflichtet fühlen und die Möglichkeit bekommen, interner Experte zu werden.
Just do it
Wie meistens haben auch in diesem Thema proaktiv agierende Unternehmen die Nase vorne und können daraus für sich Vorteile generieren. Im Sinne eines nachhaltigen Personalmanagements ist es also ein Gebot der unternehmerischen Vernunft und des gesunden Risikomanagements, sich dem Thema Pflege konsequent und systematisch zu widmen. Deutsche Unternehmen sind uns in diesem Punkt politisch wie auf Unternehmensebene einiges voraus. Zeit, dass auch die österreichischen Betriebe, im Theme Pflege auf den Zug aufspringen!