Warum Freizeit die neue Währung ist und wie Unternehmen Freizeit-statt-Geld-Optionen umsetzen können: Dazu teilten Vorreiter-Unternehmen interessante Beispiele und erste Erfahrungen im Rahmen unseres Vernetzungstreffens am 27.2.2020 in den Räumlichkeiten der Raiffeisen Leasing in Wien mit rund 50 Unternehmensvertreter*innen quer durch alle Branchen. Abgerundet wurden die Inputs aus der Praxis mit einer Einordnung der rechtlichen Möglichkeiten.
Freizeit ist die neue Währung! Noch nie hat die Kategorie „Freizeit“ bei der Wahl des Arbeitgebers eine derart große Rolle gespielt, wie heute für die Generation Z. Aber auch andere Beschäftigtengruppen wünschen sich neue Modelle, um neben der Arbeit mehr Zeit für außerberufliche Aktivitäten zu haben. Arbeitswelten-Geschäftsführer Peter Rieder führte in das Thema ein und konnte seine Thesen bereits mit ersten Zahlen aus der neuen Studie*) der Familie & Beruf GmbH belegen: Der Trend zeigt, dass auch Menschen in ihren 30ern sowie jene mit Betreuungspflichten (Kinder oder Pflege) zunehmend bereit sind, auf einen Teil ihres Gehalts zu verzichten, wenn sie dafür mehr Zeit für ihre Familie bzw. mehr Freizeit gewinnen. Einer der Gründe: Gebremstes Wirtschaftswachstum und mangelnde Jobsicherheit geschweige denn Aufstiegschancen lassen den Blick auf einmalige Erlebnisse wie die Familienzeit mit Baby oder eine Weltreise schwenken.
Mit „30 sind genug“ zu qualifizierten Bewerber*innen und mehr Gesundheit
Auch Klaus Hochreiter – als Geschäftsführer der eMagnetix Online Marketing GmbH mit kreativen Köpfen aus der Generation Z bestens vertraut – berichtet darüber, dass seine jungen Mitarbeitenden eine striktere Trennung von Job und Freizeit bevorzugen: Home Office ist bei ihm daher nicht üblich. Hochreiter schrieb als Vorreiter mit #30sindgenug Geschichte und schaffte es mit der Umstellung auf eine 30-Stunden-Woche für alle bei Vollzeitgehalt in einem Artikel des Wirtschaftsmagazins Forbes (25.11.2019) neben den Weltkonzernen Microsoft und Adidas genannt zu werden.
„Mit Gratis-Kaffee oder einem Obstkorb kriegt man keine interessanten Bewerbungen mehr,“ spitzt Hochreiter den „War for Talents“ zu. Mit der Reduktion der Arbeitszeit bei vollem Gehalt schaffte es eMagnetix von 0 auf 80 durchwegs qualifizierte Bewerbungen bei Senior-Positionen – und das im Mühlviertel.
Hochreiter erzählt, dass nicht gleich alle im Team begeistert waren und der stufenweisen Umstellung eine jahrelange Vorlaufzeit mit beinharter Analyse des Work Flows voraus ging. Die tatsächlichen Auswirkungen – vor allem in Hinsicht auf die Wirtschaftlichkeit und die Kundenreaktionen – ließen sich bis zuletzt nicht vorab abschätzen. Einige Kunden waren kritisch bis erzürnt, einer hat sogar kurzfristig die Agentur gewechselt, kam aber nach zwei Monaten wieder zurück. Die Mitarbeiter*innen fühlen sich heute zu 83 Prozent gesünder als vor der Umstellung und für zwei Drittel ist die Arbeitsbelastung sogar gesunken mit der 30-Stunden-Woche. Und das Unternehmen ist so stark gewachsen, dass direkte Rückschlüsse über die Wirtschaftlichkeit der Arbeitszeitreduktion gar nicht möglich – und auch nicht nötig sind.
Hochreiter räumt ein, dass die Kreativbranche prädestiniert für alternative Arbeitszeitmodelle wirkt. Ausreden wie „In unserer Branche geht das nicht“ will er dennoch nicht gelten lassen: Es gebe überall Raum für effizienteres Arbeiten und besonders digitale Planungshilfen werden immer noch kaum genutzt.
Auf Nachfrage aus dem Publikum gibt Hochreiter zu: Selbst schaffen er und sein Partner als Geschäftsführer noch keine 30-Stunden-Woche, sehen sich mit derzeit durchschnittlich 40 Stunden aber auf einem guten Weg, dieses reduzierte Pensum 2021 ebenfalls zu schaffen.
Bezahlte Auszeit gegen Burnout und Jobabbau
Aus Herausforderungen eine Tugend zu machen versucht die Raiffeisen Leasing GmbH mit dem „RL4U-Monat“: Ein Monat Freizeit, um einerseits Burnout-Risiken abzufedern und andererseits Personalkosten einzusparen. Das Basis-Modell: Auf einen „Leistungsmonat“ mit halbem Gehalt folgt ein „Freizeitmonat“ mit halbem Gehalt, on top gibt es eine Förderung von bis zu 12,5%. Das gesamte Top-Management geht mit gutem Beispiel voran und nimmt ohne Förderung geschlossen eine Auszeit, heuer gestaffelt alle drei Geschäftsführer.
Natürlich wurden zunächst auch kritische Stimmen laut, das Unternehmen würde sich nur was sparen wollen und das Modell sein nicht für alle leistbar, berichtet HR Business Partner Christoph Mandl. Spätestens mit den ersten Rückmeldungen derjenigen, die sich dank RL4U-Monats Lebensträume erfüllen konnten, wie zum Beispiel eine lange Reise mit der ganzen Familie, ist die Stimmungslage deutlich positiver und es gab schon Anfragen zu einem zweiten Mal. Ein weiterer positiver Aspekt: Mitarbeiter*innen gehen „ohne Chef“ verstärkt in die Eigenverantwortung, einige haben dadurch einen Karrieresprung geschafft.
Mehr Urlaub für alle – mehr Bewerbungen im Handel?
Unter dem Motto „Attraktivität für potentielle Bewerber*innen und Mitarbeiter*innen mit Herzblut“ führte die Baumarkt-Kette HORNBACH 2018 eine zusätzliche Urlaubswoche für alle ein, ab einjähriger Betriebszugehörigkeit. Christa Höchstätter, Personalleiterin bei HORNBACH, wollte damit einerseits gerade im Handel für die besten Lehrlinge attraktiv sein; andererseits sollten auch die Fluktuation eingedämmt und Fachkräfte quer durch alle Generationen gehalten werden.
Auch HORNBACH musste für das Plus an Freizeit effizienter werden und hat konsequent Prozesse digitalisiert, um die 6. Urlaubswoche für alle umsetzen zu können. Die Kosten dafür entsprechen etwa zwei bis drei Mitarbeiter*innen pro Markt. Die zusätzliche Urlaubswoche darf theoretisch sogar mitgenommen werden. In der Praxis werde der Urlaub aber so gut geplant und konsumiert, dass dieses Thema kaum zu tragen komme, so Höchstätter auf Nachfrage aus dem Publikum.
Langfristige Auswirkungen lassen sich nach eineinhalb Jahren noch nicht genau beziffern. Kurzfristig betrachtet lohnt sich die sechste Urlaubswoche dank der breiten Berichterstattung: Eine verdreifachte Resonanz auf der Karriere-Website und teilweise 40 Prozent mehr Bewerbungen sprechen für positives Employer Branding.
Bei der Kundmachung im großen Stil unterlief HORNBACH ein kleiner Faux Pas: Die Post war schneller als gedacht und einige Mitarbeitende hatten die frohe Botschaft über die zusätzliche Urlaubswoche bereits im Briefkasten, bevor HORNBACH damit Schlagzeilen machte. Es folgten ungläubige Anrufe bei Vorgesetzten, ob das ein Scherz sei – mit großer Freude nach der Bestätigung.
Freizeit-Modelle immer „on top“ und nie statt KV-Geld
Rechtsanwältin Anna Mertinz (KWR) steckte den rechtlichen Rahmen klar ab und rief zur Kreativität auf, solange folgende Goldene Regel eingehalten wird: Niemals KV-Bestandteile des Gehalts angreifen und immer die Rechtsabteilung bzw. eine Rechtsberatung hinzuziehen, bevor „Freizeit statt Geld“-Modelle ausgerollt werden. Aus dem Plenum wurde die Möglichkeit eingebracht, Bonuszahlungen in Urlaubstage umzuwandeln. Dies ist rechtlich möglich, als Basis empfiehlt Mertinz einen fairen Umrechnungsschlüssel.
Irene Maria Walter von Arbeitswelten konnte abschließend schon einen Ausblick aufs nächste Vernetzungstreffen geben. Nun steht auch der Termin fest: Am 18. Juni 2020 sind wir bei A1 zu Gast und beleuchten das Thema „Führung im Zeitalter von Digitalisierung und New Work“. Registrieren Sie sich vorab und wir laden Sie gerne dazu ein.
Teilnehmer*innenkreis: Interessierte Unternehmensvertreter*innen aller Branchen, Geschäftsführer*innen, Personalverantwortliche, Führungskräfte, CSR Beauftragte, Diversity Manager*innen, …
Hier einige Einblicke:
*) Werden Sie Partner/in im Netzwerk „Unternehmen für Familien“ und erfahren Sie Ende April 2020 alles zur neuen Umfrage unter Arbeitnehmer/innen in Österreich zu Vereinbarkeit von Familie und Beruf.