Karriereprogramme gibt es eine Vielzahl in Unternehmen. Traineeprogramme, Nachwuchsführungskräfte, Leadership Akademien oder ähnliches zählen zu den Standardrepertoires großer Unternehmen. Der Einstieg in die Führung ist also meist gut vorgegeben und geplant. Aber wie sieht es mit einem Ausstieg aus? Die Möglichkeiten, eine Führungsposition wieder in eine Expertenrolle zu verlassen – diese Option gibt es fast nirgends. Dabei gäbe es doch einige Gründe, auch mal daran einen Gedanken zu verschwenden.
Am Ende steht die Pension … oder der Rausschmiss
Sieht man sich an, wie Führungskarrieren zu Ende gehen, dann wird schnell eines klar. Es gibt nur zwei wesentliche Wege: In Pension zu gehen ist der eine. Der andere ist, sich was zu Schulden kommen zu lassen. Der Weg in eine Führungsaufgabe ist meist sehr klar vorgegeben. Durch die organisationalen Strukturen und Hierarchieebenen, unterstützt durch mehr oder weniger klare Karrierepfade und vorgegebene Ausbildungsschritte. Ist man dann einmal Führungskraft, dann führen nur wenige Wege wieder hinaus. Aber wozu soll das auch gut sein? Wieso überhaupt über einen Ausstieg aus der Führung nachdenken?
Wir müssen alle länger arbeiten, aber können wir es auch?
Es hat sich bereits allgemein herum gesprochen, dass wir alle vermutlich länger arbeiten werden müssen als die Generationen davor. Und einige Unternehmen – noch lange nicht alle – haben sich schon einmal die Frage gestellt, wie das gehen soll. Dabei steht nicht zwangsläufig immer das Thema, dass erfahrenere Mitarbeiter teurer sind, im Vordergrund, sondern schlicht die Frage der Leistungsfähigkeit. Wie lange kann man einen 60-Stunden-Job tatsächlich machen? Von körperlich anstrengenden Tätigkeiten hier mal gar nicht zu reden.
Die meisten Führungsjobs im mittleren und oberen Management sind verbunden mit einer hohen Arbeitsleistung, die abverlangt wird. Auf das Thema, wie enden Führungskarrieren, hat mich der Fall eines befreundeten Managers gebracht. Dieser war mehr als 15 Jahre in einer Top-Management-Position, hatte 90 Mitarbeiter in 12 Teams unter sich und war für ein Millionenergebnis verantwortlich. Der Pensionsstichtag konnte gar nicht schnell genug kommen und er hat sich – wie das die meisten tun – in die Pension verabschiedet. Der jahrelange Stress hat ihm einiges abverlangt. Aufgrund der sogenannten „Hacklerregelung“ – er ist mit 15 mit der Lehre ins Berufsleben eingestiegen – war er bei seiner Pensionierung etwas über 60 Jahre alt. Einige Wochen nach seiner Pensionierung hat das Unternehmen bemerkt, dass sein Fachwissen, das er in einigen Bereichen aufgrund der langen Erfahrung wie kein anderer hatte, verloren gegangen ist. Man hat ihm einen „Konsulentenvertrag“ auf einer Teilzeitbasis angeboten. Ich habe ihn einige Monate später wieder getroffen und seine Aussage hat mich beschäftigt: „Es geht mir super, ich nehme 3 Pulver täglich weniger, mein Blutdruck ist in Ordnung und ich tue etwas sinnvolles für das Haus.“
Der geschilderte Fall wirft bei mir die Frage auf: Wäre es nicht klüger gewesen, rechtzeitig eine Nachfolge zu regeln, eine fließende Übergabe mit einer Stundenreduktion zu machen und ihn dann – er arbeitet ja nicht ungern – in eine Expertenposition zu bringen?
Was ein geplanter Ausstieg aus Führungspositionen bringen kann
Das Halten von wichtigem Erfahrungswissen im Haus kann wie oben geschildert ein Vorteil sein, aber es gibt tatsächlich bei genauerer Betrachtung noch einige andere:
Länger (gesund) im Unternehmen verbleiben
Im oben geschilderten Fall ging es weniger darum, dass die Führungskraft endlich nichts mehr tun wollte, sondern der stressige Alltag in einem gewissen Alter nicht mehr so leicht wegzustecken ist. Die Demografie zeigt, dass es nötig ist, Mitarbeiter länger zu halten. Denn es kommen nicht ausreichend nach. Ganz abgesehen von einer Pensionslücke, mit der das Land zu kämpfen hat. Wollen wir also Mitarbeiter länger halten, dann brauchen wir zum einen Möglichkeiten, dass sie das gesund tun können und Anreize, dass sie es überhaupt tun. Ein Umstieg in eine Position mit einem klaren Verantwortungsbereich und einem „normalen“ Stundenumfang kann eine solche Möglichkeit sein.
Mitarbeiter auch im höheren Alter noch entwickeln
Tatsächlich lässt sich beobachten, dass Ausbildungen und Wechsel von Mitarbeitern in Unternehmen ab 45 (spätestens) merklich abnehmen, wenn nicht sogar gegen Null gehen. Wenn wir Mitarbeiter länger im Haus halten wollen, dann müssen wir diese entwickeln. Ein Wechsel im Haus, der geplant und gewollt ist, kann eine Entwicklung sein und es auch nötig machen, dass sich auch erfahrene Mitarbeiter noch weiterbilden müssen.
Chancen für den Nachwuchs schaffen ohne zu überfordern
Mentoringprogramme für junge Führungskräfte eignen sich wunderbar, um einen sanften Ausstieg aus einer Funktion zu machen, der auch sinnvoll gestaltet ist. Führungskräften ein Ausstiegsszenario zu bieten, das als sinnvoll und wertschätzend empfunden wird, schafft Bewegung im Unternehmen.
Frischen Wind und ständige Bewegung ins Unternehmen bekommen
Das bringt mich zum nächsten Punkt. Jede Generation hat ihre Vorzüge und Erfahrungen, die nützlich sind. Zu lange auf einem Standpunkt stehen zu bleiben kann auch schädlich sein, genauso wie ein ständiger Wechsel. Ausstiegmöglichkeiten ermöglichen es, dass mit einer neuen Führungsgeneration auch ein „frischer Wind“ ins Haus kommt. Auch so kann Weiterentwicklung für die Organisation sicher gestellt werden.
Ein neues Verständnis für den Erholungsbedarf von Menschen
Und zuletzt – mir als Worklife Consultant auch wichtig – ist ein realistisches Verständnis von der Leistungsfähigkeit und vor allem vom Erholungsbedarf von Menschen. Es ist schlichtweg nicht „normal“ bis in ein hohes Alter 60 und mehr Stunden pro Woche unter immensem Druck zu arbeiten. Nur haben wir bei Führungskräftem verlernt, darüber nachzudenken. Auf der Mitarbeiterebene hat sich das ja bereits einigermaßen herumgesprochen. Auf der Ebene der Führungskräfte gehören unmenschliche Arbeitszeiten einfach dazu. Hier braucht es meiner Ansicht nach ein ganz neues Verständnis.
Was muss passieren, dass…
Vielleicht rattern ja bei Ihnen bereits die Rädchen mit der Frage aller Fragen: wie?
Aus meiner Sicht braucht es dazu vor allem eine Voraussetzung: eine Kultur, die wertschätzend mit erfahrenen Mitarbeitern umgeht. Denn nur in einer solchen, können derartige Modelle gedeihen. Die Annahme, dass man auch „alte“ Mitarbeiter sinnvoll einsetzen kann, muss dem Modell zugrunde liegen.
In den meisten Unternehmen wird ein Zurücklegen einer Funktion nicht mit Entwicklung gleichgesetzt, sondern mit Schwäche. „Der hat den Job nicht mehr geschafft“ ist die Aussage, die bleibt. So ist es nicht verwunderlich, dass Funktionen oft nur bei Krankheit oder anderen Schicksalsschlägen niedergelegt werden. Wichtig ist daher eine Kultur, die diese Entwicklung dezidiert fördert. Und die klar legt, dass es dabei nicht um nicht mehr können geht, sondern um einen Prozess, der sowohl für die Organisation als auch für die Führungskraft und deren Mitarbeiter sinnvoll ist.
Zwei weitere Thematiken, die derzeit im Argen liegen, sind zum einen die Bezahlung nach Seniorität und das System der „Abfertigung alt“.
Die meisten Kollektivverträge zahlen nach Seniorität. Das heißt, dass zwangsläufig erfahrenere Mitarbeiter teurer sind. Daher sollen sie auch mehr leisten, ist die landläufige Meinung. Gerade dieses Senioritätsprinzip macht es aber auch schwer, zurückzustecken. Denn ein Zurücklegen einer Funktion ist natürlich auch mit finanziellen Einbußen verbunden. So entstehen teure Experten zum einen und zum anderen ist der Verlust von Einkommen für viele Menschen ebenfalls gleichgesetzt mit Abstieg.
Viele der erfahrenen Mitarbeiter sind zudem im System der „Abfertigung alt“. Diese bemisst sich nach dem Letzteinkommen. Kein besonders großer Anreiz, etwas leiser zu treten. Der Wermutstropfen ist hier nur, dass sich das Thema mit der Abfertigung neu irgendwann einmal erledigt haben wird.
Generationen verändern sich
Die gerade geschilderten Gedanken mögen für den einen oder anderen befremdlich wirken. Dennoch bin ich der Überzeugung, dass genau solche Ansätze zunehmend in Unternehmen Fuß fassen werden (müssen?). Schon jetzt erzählen mit zahlreiche Personalistenkollegen häufig Dinge wie „die Jungen wollen nicht mehr führen – die wollen lieber einen geregelten Ablauf haben und wissen, wann sie täglich fertig sind.“ Ja, liebe Unternehmer – dieser Trend ist zu beobachten. Dabei habe ich den Verdacht, dass es weniger darum geht, nicht führen zu wollen, als darum nicht 60 Stunden oder mehr pro Woche für ein Unternehmen habt acht zu stehen. Wollen wir diese Generationen motivieren, werden wir oben geschilderte Ansätze andenken müssen. „Führung auf Zeit“ ist das Stichwort. Das verschafft Erfahrung und Einblicke, fesselt aber nicht bis zur Pension (was für viele junge ohnehin nicht vorstellbar ist).
Vielleicht konnte ich Sie mit meinen Gedanken ein wenig wach rütteln. Was sind Ihre Ideen, Gedanken und Befürchtungen rund um den Ausstieg aus der Führung? Ich freue mich auf Ihre Beiträge!